Algorithmustests – sehen wir das gesamte Bild?

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In letzter Zeit steht das Thema Marktmanipulation noch stärker im Fokus als vor der Finanzkrise. Unter dem Druck von Regierungen und öffentlicher Meinung haben die Regulierungsbehörden zunächst Maßnahmen gegen die mutmaßlichen Täter ergriffen (Hedgefonds, HFT-Firmen, Eigenhandel), dann gegen die Praktiken selbst. Damit geriet eine früher undurchsichtige Welt nach und nach ans Licht und Begriffe wie Spoofing, Layering und Momentum Ignition hielten Einzug in den täglichen Sprachgebrauch auf dem Handelsparkett. Zur Eindämmung solcher Praktiken wurden Vorschriften wie MiFID II und MAR eingeführt. Seit dem 3. Juli 2016 soll MAR den Missbrauch von Algorithmen bekämpfen und die Voraussetzungen für Maßnahmen gegen Algorithmen schaffen, die die Marktintegrität gefährden. Mit MiFID II werden Algorithmustests vor dem Live-Betrieb ab dem 3. Januar 2018 Pflicht.

Da die Marktteilnehmer jetzt zum Einsatz von Überwachungs- und Berichtssystemen verpflichtet sind, die potenziell schädliche Handelsaktivitäten abfangen, scheint alles in bester Ordnung zu sein. Aber leider erreichen die Maßnahmen nur die Spitze des Eisbergs. Viele Unternehmen gehen möglicherweise davon aus, dass sie vorsätzliche Missbrauchsversuche unter Kontrolle haben, da sie über entsprechende Mechanismen verfügen. Nicht alle missbräuchlichen Aktivitäten sind jedoch vorsätzlich. Was passiert beispielsweise, wenn ein Algorithmus auf unerwartete Weise auf Marktbedingungen reagiert? Was passiert, wenn er auf unerwartete Weise auf andere Algorithmen reagiert?

Algorithmus ist nicht gleich Algorithmus
Um nachvollziehen zu können, wie viele Firmen von MAR erfasst werden, genügt ein Blick auf die offiziellen Definitionen von Marktmissbrauch und Algorithmus-Handel. Die Missbrauchsdefinition von MAR enthält ein breites Spektrum von Verhaltensweisen in unterschiedlich starker Ausprägung. Hierzu gehören auch Verhaltensweisen, die „mit hoher Wahrscheinlichkeit unfaire Handelsbedingungen schaffen“. Über das Wort „wahrscheinlich“ stolpert man bei den Definitionen von Marktmanipulationen auf Schritt und Tritt – so mutiert ein vorschriftsmäßiger Bericht über verdächtige Aufträge schnell zu einem Schuldeingeständnis. Seit dem 3. Juli 2016 haben alle an der „berufsmäßigen Organisation und Ausführung von Transaktionen“ Beteiligten sofort und vor einer umfassenden Untersuchung derartige Berichte zu erstatten. Auch die Definition, was ein Algorithmus ist, fällt großzügig aus. Praktisch erfasst sie alle Abläufe, bei denen ein Parameter automatisch eingestellt wird (vom Handelsplatz einmal abgesehen). Von ausgefeilten, autonomen Algorithmen mit dem Potenzial, vorsätzlich unfaire Marktbedingungen zu erzeugen, ist so etwas weit entfernt.

Viele Unternehmen gehen zwar zu Recht davon aus, alles getan zu haben, wenn es um absichtlichen Missbrauch geht, aber es kann jederzeit zu unbeabsichtigten Missbrauchsfällen kommen. Unternehmen müssen nun ihre Handelsstrategien unter unterschiedlichen Aspekten darauf überprüfen, ob diese potenziell zu nicht ordnungsmäßigen oder unfairen Handelspraktiken beitragen können. Hierzu können allgemeine Aktivitäten gehören, die den Markt destabilisieren und Auftragsbücher überlasten können, aber auch sehr gezielte Aktionen wie Spoofing und Layering. Algorithmen werden stark durch das Verhalten anderer Marktteilnehmer beeinflusst, und da die Handelsaktivitäten vermehrt automatisch erfolgen, sind diese anderen Teilnehmer häufig andere Algorithmen. Wenn diese auf unerwartete Weise interagieren – etwa durch die Verstärkung eines bestehenden Trends durch falsche oder irreführende Signale – liegt nach der Definition von MAR ein Missbrauch vor. Die Firmen und Einzelpersonen, die in einem solchen Fall einen entsprechenden Algorithmus eingesetzt haben, machen sich strafbar. In den meisten EU-Ländern droht ihnen sogar Haft.

Heute ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Handelspartner ein Computer ist, ebenso hoch wie die, dass es sich um einen Menschen handelt. Die oben beschriebenen Situationen werden sich also häufen. Das Beunruhigende ist, dass das Verhalten von Algorithmen unter realen Bedingungen trotz Tests vor dem Live-Betrieb häufig erst festgestellt wird, wenn es zu spät ist und der Fall gemäß MAR den Behörden gemeldet wurde.

Was taugen die Tests?
Auch wenn die Algorithmen anhand historischer Marktdaten überprüft und anspruchsvollen Stresstests unterzogen werden, lassen sich – bedingt durch die Testumgebungen – Missbrauchsfälle mit den derzeitigen Methoden praktisch nicht verhindern. Da es sich bei den verwendeten Daten um historische Daten handelt, ist das Szenario ohnehin wenig realitätsnah. Der „historische Markt“ kann nicht auf das Verhalten des Algorithmus im Test reagieren. Die einzelnen Marktteilnehmer können nicht auf Marktbedingungen reagieren, die sich aufgrund des Verhaltens eines Algorithmus verändert haben.

Derartige Algorithmustests sind daher weit davon entfernt, die für die Handelsfirmen unter MiFID II geforderten Prüfanforderungen zu erfüllen, sodass diese weiterhin dem Risiko einer Verletzung der MAR-Kriterien ausgesetzt sind. Ohne die Möglichkeit, vorschriftswidriges Verhalten durch realitätsnahe Tests zu simulieren und zu prüfen, sind die Handelsfirmen nicht in der Lage, ihre Algorithmen nach MiFID II zertifizieren zu lassen. Damit sind sie seit dem 3. Juli 2016 einer erheblichen Bedrohung durch MAR ausgesetzt. Trotzdem wird dies von vielen Unternehmen bisher schlicht nicht zur Kenntnis genommen.

Dabei sind die Strafen nach MAR beträchtlich. Für Unternehmen liegen sie bei 15 Millionen Euro bzw. 15 Prozent vom Umsatz und bei fünf Millionen Euro für Einzelpersonen. In ganz Europa mit Ausnahme Großbritanniens und Dänemarks, wo noch höhere Strafen gelten, gilt eine gesetzliche Strafe von vier Jahren für verurteilte Manipulatoren.

Eddie Thorn, Direktor des SQS, das zusammen mit TraderServe die Algorithmus-Stabilitätstestplattform AlgoGuard  über das Finanz-Extranet Colt PrizmNet bereitstellt

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Make Do

01 August 2016

 

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